Rostock – Mit einem besonderen Schritt im praktischen Artenschutz startet Anfang August ein neues Kapitel für den Sandregenpfeifer (Charadrius hiaticula) an der Ostseeküste. Erstmals werden in Mecklenburg-Vorpommern in menschlicher Obhut aufgezogene Sandregenpfeifer ausgewildert – ein gemeinsames Projekt des Zoo Rostock und des NABU Mittleres Mecklenburg mit der Fachgruppe Ornithologie Rostock. Der Auswilderungsstandort liegt im Naturschutzgebiet Riedensee bei Kägsdorf, einem wichtigen vom NABU betreuten Rückzugsraum für die Strandbrüter.
Der Sandregenpfeifer ist ein kleiner Watvogel, den es im Winter nach Westeuropa und Afrika zieht. Von März bis August ist er an den heimischen Sand- und Kiesstränden der Ostsee anzutreffen, allerdings immer seltener.
Die ausgewilderten Vögel stammen aus Eiern, die an sehr ungünstigen Brutplätzen außerhalb von Schutzflächen an touristisch stark genutzten Stränden zwischen Kühlungsborn und Warnemünde gefunden und gezielt in menschlicher Obhut aufgezogen wurden. Heute wurden die ersten vier Jungvögel aus einem mobilen Auswilderungskäfig in die geschützte Strandlandschaft entlassen. Weitere Tiere sollen folgen, sobald sie flügge sind.
„Da diese Gelege in der Natur kaum eine Chance gehabt hätten, haben wir in enger Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreis Rostock und gemeinsam mit der Fachgruppe Ornithologie entschieden, Eier aus diesen Risikozonen zu entnehmen und im Zoo zu erbrüten und aufzuziehen“, informierte Jonas Homburg, Vogelkurator im Zoo Rostock. „Mit der ersten Auswilderung dieser Jungvögel hoffen wir, einen ganz konkreten Beitrag zum Erhalt der Art leisten zu können.“
Rettung aus aussichtslosen Lagen
Immer häufiger versuchen Sandregenpfeifer mangels störungsarmer naturnaher Strandhabitate an ungeeigneten Stellen zu brüten, direkt an Strandaufgängen, vor Strandkörben oder weit vorn am Wasser. Eine sichere Absperrung ist dort oft nicht möglich. In der Folge werden Gelege zerstört oder gehen durch Störungen verloren.
Die Aufzucht der Küken erfolgte hinter den Kulissen der Seevogelanlage im Zoo Rostock durch ein erfahrenes Tierpflegerteam. Dort wurden die Jungvögel nicht nur versorgt, sondern gezielt auf das Leben in der Natur vorbereitet, inklusive einem Training zur Erkennung potenzieller Gefahren wie Hunden oder Kleinraubtieren. Zum ganzheitlichen Auswilderungskonzept gehört auch, dass sich die vier nun flüggen Jungvögel zunächst für 24 Stunden im Auswilderungskäfig an die Umgebung gewöhnen konnten, um sich dann selbstständig in ihrem neuen Lebensraum zu orientieren.
Symbol für bedrohte Küstennatur
Der Sandregenpfeifer ist ein typischer Vertreter unserer Küstenfauna und zugleich ein Symbol für die Gefährdung sensibler Lebensräume. „In Deutschland gilt die Art mit weniger als 1.000 Brutpaaren als vom Aussterben bedroht“, betonte Mathias Hans Vieth, Leiter der Fachgruppe Ornithologie Rostock im NABU Mittleres Mecklenburg. „Vor allem die intensive Nutzung der Strände durch Tourismus, Freizeitaktivitäten und Hunde führt dazu, dass störungsfreie Brutplätze rar geworden sind.“
Dabei ist der Sandregenpfeifer ein echter Überlebenskünstler: Als Bodenbrüter legt er seine Eier in kleine Sandmulden, seine Küken sind bei Gefahr kaum vom Untergrund zu unterscheiden. Doch genau diese Tarnung wird ihm an stark frequentierten Stränden oft zum Verhängnis.
Umfassendes Schutzkonzept
Der Zoo Rostock und die NABU-Fachgruppe Ornithologie setzen daher eine Reihe von Maßnahmen für den Sandregenpfeifer um. Im Zentrum steht das systematische Monitoring von bekannten Brutplätzen in der Region, das durch eine flächendeckende Kartierung im Rahmen des Nationalen Artenhilfsprogramms Strandbrüter ergänzt wurde. Auf dieser Grundlage werden während der Brutsaison sogenannte „Strandinseln“ errichtet, saisonal geschützte Strandflächen, von denen auch weitere strandbewohnende Tiere und Pflanzen profitieren. „Nachdem sich diese Maßnahme seit 2022 im NABU-Projektgebiet am Riedensee bewährt hat, konnten wir in Zusammenarbeit mit dem Zoo zum wiederholten Mal auch Flächen in Börgerende und Elmenhorst sichern, wo bereits erfolgreiche Brutpaare gesichtet werden konnten,“ erklärte Joachim Springer vom NABU Mittleres Mecklenburg.
Außerhalb dieser festen Schutzbereiche werden, sofern es die Situation zulässt, gefährdete Gelege durch kleinere Absperrungen gesichert. Wenn ein Schutz vor Ort nicht möglich ist, wie bei besonders exponierten oder stark frequentierten Stellen, werden die Eier entnommen und im Zoo ausgebrütet mit anschließender Auswilderung. Eine weitere zentrale Säule bildet die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit. Mit Infotafeln, Social Media und Presseterminen wird über die Gefährdung der Strandbrüter und die Bedeutung des Projekts aufgeklärt und um entsprechende Rücksicht gebeten.
„Das Aufzuchtprogramm mit Auswilderung ergänzt unseren Ansatz und soll die Überlebenschancen der Art erhöhen“, so Jonas Homburg. „Indem wir Tiere großziehen, die in der Natur keine Chance gehabt hätten, stärken wir die Population.“
Einbindung in Schutzgebiet des NABU
Der Ort der Auswilderung wurde bewusst gewählt. „Das langjährig vom NABU Mittleres Mecklenburg betreute Naturschutzgebiet Riedensee bietet durch die Qualität des Lebensraums und die dort umgesetzten Maßnahmen zur Besucherlenkung beste Voraussetzungen, damit sich die Jungvögel in ihrem natürlichen Lebensraum integrieren können“, betonte Jonas Homburg die Bedeutung der Zusammenarbeit mit dem NABU als Projektpartner. „Die gemeinsame Auswilderung ist darüber hinaus ein wertvolles Signal, wie wir konkrete Maßnahmen für den Schutz der Artenvielfalt direkt vor unserer Haustür umsetzen können.“